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Mittwoch, 6. Juli 2011

UN-Bericht mangelt es an seriösen Grundlagen

Die Kritiker des Sozialstaats hierHartz IV, Kinderarmut, Diskriminierung von Zuwanderern: Ein UN-Bericht bemängelt Deutschlands Sozialpolitik. Doch die Regierung hält das Gutachten für wenig aussagekräftig.Jedes vierte Kind geht ohne Frühstück in die Schule, Hartz IV reicht nicht zum Leben, Behinderte finden keine Jobs, und alte Menschen vegetieren unter unmenschlichen Bedingungen in Pflegeheimen – ein Bild des Schreckens zeichnet der Bericht des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von der sozialen Lage in Deutschland.zulande sehen sich durch die Rüge prompt bestätigt. Für Linken-Chef Klaus Ernst ist der Bericht ein „beschämendes Dokument des Scheiterns aller Regierungen seit der 
Wiedervereinigung“.
Der Präsident des Sozialverbands, Adolf Bauer, sprach von einem „Alarmruf der Völkergemeinschaft zur rechten Zeit“, denn die brummende Wirtschaft verdecke die stetig wachsende soziale Kluft. Es sei beschämend, „dass sich die Bundesregierung aufgrund ihrer verfehlten Sozialpolitik nun vor der Weltöffentlichkeit von den Vereinten Nationen am Ring durch die Manege ziehen lassen muss.“
Die Bundesregierung hält dagegen: Die Kritik im vorläufigen Bericht des UN-Unterausschusses sei in weiten Teilen nicht nachvollziehbar und auch nicht durch wissenschaftliche Fakten belegt, hieß es im Arbeitsministerium.

Keine wissenschaftliche Grundlage

Es sei schade, dass der UN-Unterausschuss für die zentralen Kritikpunkte weder wissenschaftlich valide Datengrundlagen benenne, noch Fakten aus der umfangreichen Stellungnahme der Bundesregierung berücksichtige. Schließlich war der Sozialstaatssekretär Andreas Storm im Mai eigens nach Genf gereist, um sich einer Anhörung zu stellen.
Der UN-Ausschuss wurde 1985 eingerichtet, um die Umsetzung der Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu überwachen. Die Unterzeichnerländer müssen dem Ausschuss alle fünf Jahre Bericht erstatten. Zweimal jährlich – im Frühjahr und Herbst – tagen die 18 Experten für mehrere Wochen in Genf.
Die Gutachter kommen unter anderem aus Ägypten, Weißrussland, Kamerun, Costa Rica, China, Indien, Ecuador, Jordanien und Kolumbien. Aus Deutschland ist ein emeritierter Mannheimer Völkerrechtsprofessor dabei.
In Anhörungen zahlreicher Nichtregierungsorganisationen und Interessengruppen – von Attac über Amnesty International bis zum Bundesverband Psychatrie-Erfahrener und zum Verein Intersexuelle Menschen – verschaffen sich die Gutachter ein ausführliches Bild über das zu bewertende Land. Dabei gibt es für die Beurteilung aber keine UN-weit einheitlichen Standards oder allgemein definierte Maßstäbe, worauf auch das Ministerium hinweist.

Gutachter erbost über Ignoranz aus Berlin

Der Bericht lässt den Beobachter darüber rätseln, zu welchem Ergebnis man in wirklichen sozialen Krisenregionen gekommen wären, wenn dort die Maßstäbe für die Bundesrepublik angelegt würden: So wird moniert, dass in Ostdeutschland die Arbeitslosigkeit immer noch doppelt so hoch ist wie im Westen.
Außerdem könnten 1,3 Millionen Menschen nicht von ihrer Arbeit leben, 13 Prozent der Deutschen seien arm. Hartz IV sichere keinen „adäquaten Lebensstandard“ – außerdem müssten die Empfänger praktisch jede Arbeit annehmen und Langzeitarbeitslose unbezahlt für die Kommunen arbeiten.
Beim Zugang zu Jobs sehen die Gutachter Frauen wegen „klischeehafter Vorstellungen von Geschlechterrollen“ benachteiligt.
Praktisch nichts findet sich darüber, dass sozial Schwache hierzulande im internationalen Vergleich gut, wenn nicht sogar sehr gute versorgt werden. Stattdessen zeigen sich die Gutachter erbost, dass frühere Empfehlungen in Berlin nicht auf offene Ohren gestoßen waren.

Gutachter beschäftigten sich mit Transsexuellen

„Tief besorgt“ sei man wegen dieser mangelnden Umsetzung der UN-Ratschläge. Und so reicht die Mängelliste noch weiter: von Exportsubventionen in der Agrarpolitik, über schlechten Berufschancen von Einwanderern und dem Streikverbot für Beamte bis zum Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen und Zwangsarbeit in den Gefängnissen sowie häusliche Gewalt.
Selbst mit den Pensionen früherer DDR-Minister und der Lage von Transsexuellen beschäftigten sich die Genfer Gutachter.
Dass Deutschland „auch im Sozialbereich eine positive Entwicklung gemacht hat, die weltweit hoch anerkannt sei“, wie das Arbeitsministerium betont, ist bei diesen Experten nichts angekommen.
Das Ministerium macht denn auch eine andere Liste auf: „Das Rentensystem ist demografiefest, Kinderbetreuung und Ganztagschulen werden ausgebaut, das Bildungspaket entfaltet seine Wirkung, die Jugendarbeitslosigkeit ist eine der niedrigsten weltweit, die Beschäftigungszahlen in Deutschland erreichen immer neue Rekordwerte und die Langzeitarbeitslosigkeit sinkt – im Osten wie im Westen.“
In der „abschließenden Bemerkungen“ gibt es aus Genf zumindest Lob für die Arbeitsmarktreformen, „die zum niedrigsten Stand der Arbeitslosigkeit in Deutschland seit 20 Jahren beigetragen haben“. Zumindest daran kamen die UN-Gutachter offenbar nicht vorbei.

Quelle: http://www.welt.de


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